Wozu ein Software-Sachverständiger?

Sachverständige sind ja nur Personen mit Sachverstand. Und in der Informatik hat doch jeder Sachverstand, oder? Prinzipiell stimmt das – zumindest der erste Satz. Es gibt in der Informatik auch seltene Ausnahmetalente, die sich trotz eklatanter Wissensmängel in der Informatik viele Jahrzehnte lang halten.1
Doch es gibt einige Unterschiede zwischen hauptberuflichen Softwaresachverständigen (a.k.a. Gerichtssachverständige = allgemein beeidete und gerichtlich zertifizierte Sachverständige) und allen anderen Personen mit Sachverstand (inkl. „IT-Berater“):
- Erweiterter Sachverstand: Softwaresachverständige sind nicht nur hinsichtlich Software sachverständig, sie haben auch Erfahrung in der Erstellung von Gutachten, Ausschreibungen und Verträgen, im Umgang mit Streitsituationen, Juristen, Top-Management und Nicht-Technikern.
- Erzwungene Korrektheit: Softwaresachverständige haften für die Korrektheit ihrer Beurteilungen und Empfehlungen, müssen dafür auch eine entsprechende Haftpflichtversicherung abschließen. Sie machen oft Gutachten – also schriftliche Dokumente, anhand derer ihnen ein Fehlurteil leicht nachweisbar wäre.
- Unabhängigkeit: Softwaresachverständige sind unabhängige Dritte (sogar zur Unabhängigkeit verpflichtet), die kein wirtschaftliches oder technisches Interesse an ihren Empfehlungen oder dem Ausgang ihrer Beurteilungen haben.
Insbesondere der letzte Punkt ist meiner Erfahrung nach für viel Schaden in der Softwareindustrie verantwortlich – üblicherweise versteckte Mängel, sie sich gegenüber den Auftraggebern „nur“ durch hohe Kosten bemerkbar machen:
- Beratungsunternehmen – insbesondere die großen, teuren – haben oft exzellente Berater, die (bewusst oder unbewusst) Projekte in eine Richtung treiben („das empfehle ich, und das können wir übrigens auch“), die zu einer Abhängigkeit von dem Beratungsunternehmen führen.
- Beratungsunternehmen bieten den vermeintlichen Vorteil, dass sie für eine Kontinuität bei den zur Verfügung stehenden Mitarbeitern (auch im Ausfallsfall) sorgen können. Oft aber mit dem eklatanten Nachteil, dass gute Mitarbeiter in andere Projekte versetzt werden dürfen und nicht ganz so gute (oder in den empfohlenen Technologien unerfahrene) Mitarbeiter nachfolgen.
- Berater, die in Projekten mitarbeiten (oder beratende Projektmitarbeiter) haben oft ein persönliches Interesse an ihren Empfehlungen („das empfehle ich, weil das für das Projekt passt und ich selbst gerne damit arbeiten möchte“). Dafür bleiben sie – wenn sie nicht über ein Beratungsunternehmen im Projekt arbeiten – üblicherweise bis zum Projektende und fressen ihr eigenes Hundefutter.
Oft ist der diesbezügliche Unterschied zwischen „tatsächlichen“ Sachverständigen und Personen mit Sachverstand fließend. Auch ich als Gerichtssachverständiger arbeite dann und wann in Projekten mit und helfe meine Empfehlungen umzusetzen. Der einfachste Weg, um herauszufinden, ob jemand wie oben beschrieben mit Sachverstand korrekt und unabhängig agiert, ist die Frage: „Welche Studien, Literatur oder Erfahrungswerte stützen diese Empfehlung?“
Erkenntnisse:
- „Tatsächliche“ Sachverständige haben im Gegensatz zu Personen mit Sachverstand 1) Sachverstand auch rund um die Sicherstellung ihrer Empfehlungen, 2) haften für die Korrektheit ihrer Beurteilungen und Empfehlungen und sind 3) in mehrfacher Sicht unabhängig.
- Insbesondere die Unabhängigkeit führt für die Auftraggeber zu meist besseren/günstigeren Lösungen und geringerer Abhängigkeit vom Sachverständigen.
- Empfehlungen ohne nachvollziehbare Empfehlungsgrundlage sind oft Zeichen für ungenügenden Sachverstand
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